Als Prof. Dr. Erich Schleicher am 10. April 1974 seinen Entwurf für die inhaltliche Gestaltung des Elektronik-Technologie-Praktikums an der Ingenieurhochschule Mittweida einreicht, ging ein langer Kampf um die praktische Ausbildung von Ingenieuren langsam seinem vorübergehenden Ende entgegen.
Für Schleichers Konzept, den „Aufbau eines durchgängigen technologischen Prozesses vom Werkstoff über das Bauelement, die Baugruppe zum Gerät und die harmonische Verknüpfung der Qualitätskontrolle mit jedem technologischen Schritt“, fehlte an der fünf Jahre zuvor gegründeten Ingenieurhochschule Mittweida eigentlich der nötige Platz.
Weder die Zahl der Unterrichtsräume noch die der Laboratorien war für die in Mittweida angestrebte Ausbildung und Forschung adäquat. Auch die sonstige Infrastruktur entsprach kaum den Vorstellungen, schließlich stand der neuen Bildungsstätte neben dem Hauptgebäude nur drei neue Flachbauten zur Verfügung. Erst die Reintegration der Präzise, der im Jahr 1901 entstandenen Lehr-Fabrikwerkstätten, schafft Abhilfe.
Schon zur Gründungszeit wurde im späteren Haus 4 der Hochschule Mittweida, in dessen verbliebenen Kopfbau heute der Studentenrat und Teile des Netz- und Kommunikationszentrum (NCC) untergebracht sind, sehr praktisch gelehrt. Die Präzisionswerkstätten Mittweida fertigten Maschinen und Apparate der Elektrotechnik und des Maschinenbaus – einerseits um die Studenten anwendungsnah auszubilden, andererseits um die Betriebskosten der privaten Lehranstalt zu decken.
Zur Zeit der DDR ist der ökonomische Zwang selbstverständlich nicht mehr in dieser Form gegeben. Ingenieurschule und Präzisionswerkstätten werden nach dem Zweiten Weltkrieg getrennt, das Erbe des Technikum-Gründers Alfred Udo Holzt, die praxisnahe Ausbildung von Ingenieuren durch die Verbindung von Theorie und Praxis, scheint verloren.
Schleicher greift Technikum-Gründer auf
Erst die Ingenieurhochschule Mittweida greift das Konzept rund 25 Jahre später wieder auf. Schleicher schlägt mit dem „Komplexpraktikum Elektroniktechnologie“ vor, die Schritte eines technologischen Prozesses in Einzelversuchen abzubilden und danach Versuchsergebnisse und Auswertungen als Komplex zu betrachten. In seiner Konzeption beschränkt er die Idee nur auf den Prozess der Herstellung von Dünnschichthybridschaltkreisen der Serie KME3, die damals in Hermsdorf gebaut werden.
Es gilt für die damalige Hochschulleitung, eine Lösung zur räumlichen Gestaltung der praktischen Ausbildung für Elektroniktechnologie zu entwickeln. Das Interesse richtet sich vor allem auf die Nutzung der ehemaligen Präzise der Ingenieurschule Mittweida, die mittlerweile von einem Maschinenbaubetrieb genutzt wird, der dort Bügel-Kaltsägen herstellt.
Erst als der Betrieb nach Erlau verlegt wird, kann die Präzise für Lehre und Forschung umgestaltet werden. Nach Sanierung und Umbauten wird schließlich am 5. September 1975 das „Komplexpraktikum Elektroniktechnologie“ fertiggestellt. Für die Studenten und Studentinnen bringt das auch in der Freizeit einen Vorteil: Der Speiseraum der Präzisionswerkstätten wird zum Studentenclub umgestaltet.
Disskussionen verwässern das Konzept
Über Schleichers Konzept wird in der Zwischenzeit diskutiert: Kritiker des Vorhabens benennen die ungenügende Beachtung des Bauelemente-Angebots, der Gehäusefertigung und die Verfügbarkeit peripherer Geräte, sowie der Oberflächenbehandlung. Letztlich umfasst die technologische Linie nur noch den Einbau der bestückten Leiterplatten in das vorgegebene Gehäuse. Die Einwendungen führen in ihrer Gesamtheit zur Aufgabe der Idee, Elektroniktechnologie als Komplex zu unterrichten.
Obwohl sich seine Vorstellungen zum Komplexpraktikum nur teilweise erfüllen, kann Erich Schleicher im September 1975 als soeben berufener Professor für das Fachgebiet Grundlagen der Technologie der Elektrotechnik und Elektronik das neugestaltete Praktikum eröffnen. Die Zahl der Praktikumsplätze steigt von 195 auf 363 und die der Praktika von 12 auf 22.
Schleichers Konzept folgt der Idee Holzt‘, Theorie und Praxis in der Ingenieurausbildung eng zu verzahnen, und resultiert aus seinem Lebenslauf. Vor seiner Berufung an die Ingenieurhochschule Mittweida ist Erich Schleicher als Direktor Forschung- und Entwicklung in den Keramischen Werken Hermsdorf (KWH) tätig, später als Direktor Wissenschaft und „Verdienter Erfinder der DDR“. Er promoviert im Jahr 1967 an der Karl-Marx-Universität Leipzig zum Dr. rer. nat. In den KWH setzt man für die zukünftige Entwicklung von Schaltkreisen auf die Fertigung von Dünnschichthybridschaltkreisen (KME-Baureihe), obwohl seit Mitte der 1970er Jahre monolithische Schaltkreise auf Si-Basis bekannt sind. Seine diesbezügliche Erfahrung will Schleicher in die praktische Ausbildung einbringen.
Das geplante Komplexpraktikum leitet er deshalb aus der erforderlichen universitären Forschung und der damit verbundenen technischen Ausstattung ab. Sein Hauptaugenmerk legt er dabei auf die Technologie zur Fertigung elektronischer Baugruppen und Geräte. Er bringt damit eine neue, bislang nicht praktizierte Form in die Ausbildung von Ingenieuren ein.
Die Ernennung von Schleicher zum Prorektor für Naturwissenschaft und Technik hatte schließlich das Ziel, die Bedeutung der Elektrotechnologie an der Ingenieurhochschule Mittweida hervorzuheben. Später oblag es ihm, als Prorektor für das Vorhaben „Zentrum Elektronischer Gerätebau“ die Verantwortung zu übernehmen. Er verstirbt nach schwerer Krankheit am 10. Juli 1985.
Unsere Kalenderblätter blicken auf die Geschichte der Hochschule Mittweida. Anhand aktueller Anlässe zeichnen wir bedeutende Meilensteine der Hochschulgeschichte nach.
- Erich Schleichers Idee der praktischen Elektronik-Technologie
Weiterführende Literatur zum Artikel:
- Das Magazin, Wissenschaftlicher Gerätebau in Mittweida, Mai 2008
- 100 Jahre Präzise im Wandel der Zeit, Mittweida Juni 2000