Die Pressefreiheit ist eine feine Sache. Sie verteidigt nicht nur journalistisches Arbeiten, sondern wird auch von Verlegern als Schwert und Schild im Kampf um Verlagsinteressen ins Feld geführt. Mehr Ehrlichkeit täte der Branche gut.
Von Prof. Dr. Janis Brinkmann, Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Hochschule Mittweida
An ihrem Ehrentag wird sie wieder gefeiert. Sie wird euphorisch bejubelt, beschworen und zum hohen Gut erklärt: Die Pressefreiheit in Deutschland. Dort wo sie fehlt, wird sie mit Nachdruck gefordert: Die großen roten und schwarzen Flecken auf der „Weltkarte der Pressefreiheit“, die in den vergangenen Jahren immer dunkler wurden, sollen verschwinden. Trump, Putin und alle die anderen sollen endlich begreifen, dass ohne Pressefreiheit kein unabhängiger Journalismus möglich ist – und natürlich auch keine Demokratie.
Die freie Presse als selbsternannte „vierte Gewalt“, die den Mächtigen auf die Finger schaut (und notfalls auch haut), ist ein starker Pfeiler westlicher Demokratien, fest verankert im Grundgesetz-Artikel 5. Sie ist ein Grundrecht und gleichzeitig ein Werkzeug, mit dem Journalisten Licht ins Dunkel der Schattenwelt bringen, in denen Korruption und Misswirtschaft ebenso wachsen wie die großen gesellschaftlichen Konflikte unserer Zeit. Pressefreiheit ist Taschenlampe, Scheinwerfer oder Leuchtturm, ein unverzichtbarer Lichtbringer für das demokratische Zusammenleben. Denn wie die altehrwürdige „Washington Post“ seit ihrer Übernahme durch Amazon-Chef Jeff Bezos pathetisch im Titel führt: „Democracy dies in the Dark“.
Doch abseits des Pathos und der Schaufensterreden ist die Pressefreiheit auch ein starkes Narrativ, um die Interessen der Verlagsbranche zu verteidigen und Gegner zu attackieren. Argumentativ geschwungen ist sie scharfes Schwert und Schutzschild einer Branche, die sich publizistisch und ökonomisch seit fast zwanzig Jahren ein Rückzugsgefecht liefert – zuerst mit den frechen Gratiszeitungen, die ihr die Werbeanzeigen wegzufressen drohten, später mit dem „staatsnahen“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen kostenlose Onlineangebote ihr die Geschäftsmodelle im Netz verderben, dann wieder mit dem übermächtigen Google, das einfach Verlagsinhalte nutzt und nebenbei den Kuchen der Onlinewerbeeinnahmen ganz allein verdrückt.
In allen diesen medienpolitischen Konflikten, hinter denen immer auch ökonomische Interessen liegen, bemühen Verlagsvertreter gebetsmühlenartig ihr Argument, dass ihre jeweiligen Forderungen – z.B. Verbote von Gratiszeitungen oder der Tagesschau-App ebenso wie die Einführung eines eigenen Leistungsschutzrechtes für Presseverlage – dem Schutz der Pressefreiheit dienen. Im Gegensatz heißt das: Erfüllt die Politik diese Forderungen nicht, schadet sie letztlich der Pressefreiheit – und bedroht damit das demokratische Fundament. Diese „Artikel-5-Argumentation“ ist auf den ersten Blick bestechend: Die argumentative Verknüpfung eines unbestreitbaren Grundrechts mit der eigenen Branche, deren Produkte dann auch als „Kulturgüter“ deklariert und übrigens dementsprechend niedriger besteuert werden, verleiht Lobbyinteressen einen Gemeinwohlanstrich. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat diese Haltung pointiert herausgearbeitet:
„Alles, alles bedroht anscheinend die Presse in ihrer Existenz: Werbeverbote, Suchmaschinen, Aggregatoren, die vermeintliche Gratismentalität im Internet, öffentlich-rechtliche Online-Angebote und Apps, illegale Downloads, Lohn- und Honorarerhöhungen, die Umsatzsteuer. (...) Man hatte das in all den Jahren, in denen Zeitungsverleger traumhafte Renditen einfuhren, nicht geahnt, aber anscheinend handelt es sich bei dem Boden, auf dem in Deutschland Presse gedeiht, nur um eine ganz dünne Schicht. Jeder Windstoß aus der falschen Richtung kann sie wegblasen, und dann ist es vorbei mit der Pressefreiheit und Pressevielfalt in Deutschland.“
Wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung des Autors mit den Argumentations- und Kommunikationsstrategien deutscher Zeitungsverlage zeigt, ist die argumentative Verknüpfung von medienpolitischen und -ökonomischen Forderungen privatwirtschaftlicher Zeitungsverlage mit gesellschaftlichen Gemeinwohlinteressen in der Zeitungsindustrie ein erprobtes und historisch tradiertes Instrument, um die Veränderung oder Konservierung politisch-rechtlicher Rahmenbedingungen der Branche zu legitimieren (vgl. hier die verdienstvollen Arbeiten von Richter 1973 und Schulze 1994). Seit den frühen 1960er Jahren führen Verleger und ihre Verbandsvertreter die Pressefreiheit als Argument in politische Konflikte: Ob gegen die Einführung einer Pressefusionskontrolle, die die zunehmende Konzentration auf dem Zeitungsmarkt unterbinden sollte, oder das Presserechtsrahmengesetz, mit der die „innere Pressefreiheit“ auf Kosten der Verleger gestärkt werden sollte. Ob für eine reduzierte Mehrwertsteuer für Presseprodukte oder eine Beteiligung am öffentlich-rechtlichen Rundfunk („Verlegerfernsehen“).
Die Fälle, in denen Verleger ihre politisch-ökonomischen Forderungen unter Bezug auf die Pressefreiheit mit einer „Aura des Gemeinwohls“ (Richter 1973: 198) ummantelten, sind mannigfaltig. Dass die jeweilige Lobbypolitik von einer entsprechend interessengeleiteten Publizistik – von Journalismus zu sprechen, verbietet sich an dieser Stelle – flankiert wurde, ist wissenschaftlich umfassend belegt – exemplarisch in den Konflikten um das Privatfernsehen (Weiß/Gramatins 1985; Kain 2003), die Rundfunkliberalisierung (Weiß 1985; 1986), die öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühren (Weiß 1988), die versuchte Übernahme von ProSiebenSat.1 (Kemner/Scherer/Weinacht 2008), den Berliner Zeitungsmarkt (Müller/Donsbach 2006), den Post-Mindestlohn (Dybski/Hanel/Kringe/Peun/Weiß (2010) und die Online-Aktivitäten von ARD und ZDF (Löblich 2011; Meuthen/Pawlizki 2014; Maier/Dogruel 2016). Diese „Instrumentalisierung durch die Verlagsökonomie“ (Pointner 2010: 23) als Beweis für eine „Lügenpresse“ heranzuziehen – was auch Stefan Niggemeier in seinen Blogbeiträgen „Lügen für das Leistungsschutzrecht“ nicht tut – wäre allerdings aus demokratischer Sicht ebenso fatal, wie dieses „publizistisch-politische Moment“ (Vowe 2001: 33) einfach zu ignorieren.
Die Strategie, die Pressefreiheit – je nach Schlachtfeld – als Schutzschild zur Verteidigung von „Ressourcen und Domänen“ (Vowe 2007: 481) oder eben als Schwert für die Attacke auf Konkurrenten sowie zum Ausbau der eigenen Marktposition ins Feld zu führen, hat aber unter digitalen Vorzeichen weiter zugenommen (vgl. Brüggemann et. al 2012; Buschow 2012; Brinkmann 2018). Hierzu Niggemeier in der FAZ:
„Die Verlagslobby propagiert ein Modell, das alle Stellschrauben zu ihren Gunsten dreht, mit neuen Einnahmen durch ein zu schaffendes Leistungsschutzrecht, Steuervergünstigungen und einer Marginalisierung von ARD und ZDF. Dann, so die Logik, und nur dann könnten sie wirtschaftlich erfolgreich hochwertige Inhalte produzieren, die eine Gesellschaft braucht.“
Über die Frage, ob es in verlagspolitischen Konflikten tatsächlich um die „Pressefreiheit oder die Freiheit der Verleger“ geht, lässt sich trefflich debattieren: Erfüllt die Presse die an sie gestellten Ansprüche überhaupt? Ist eine interessensgeleitete Berichterstattung demokratisch zu vertreten – oder vielleicht sogar geboten? Ist publizistische Pressefreiheit, wie sie das Grundgesetz garantiert, wirklich abhängig von einer wirtschaftlichen Pressefreiheit, wie Verleger argumentieren?
Unstrittig ist, dass diese Freiheit keine Waffe sein kann, die sich in jedem Kampf gegen jeden Gegner und für jedes Ziel einsetzen lässt. Je nachdem, ob sie Journalismus vor staatlichen Eingriffen schützen oder Verlagseinnahmen durch staatliche Eingriffe sichern soll – sie kann nicht in beiden Arten von Konflikten argumentativ in Stellung gebracht werden, wie Rolf Richter bereits 1973 in „Kommunikationsfreiheit = Verlegerfreiheit?“ feststellte:
„Entweder wird Pressefreiheit um die Sicherung des gesellschaftlichen Zeitgesprächs, des Substrats für den demokratischen Meinungsbildungsprozess, willen gewährleistet. Dann erhält die Presse als ein hervorragendes Instrument zu diesem Zweck ‚institutionellen Bestandsschutz’ – muß (sic!) sich aber beispielsweise auch konzentrationsverhindernde oder -entschärfende Eingriffe des Staates gefallen lassen. Oder aber Pressefreiheit heißt Ausgrenzung eines individuellen Freiheitsraumes, Sicherung der Meinungsfreiheit vor staatlicher Intervention und Freigabe aller Medien zur privaten Nutzung in der Hoffnung, auf dem freien Markt der Meinungen komme jede Stimme angemessen zu Wort. Dann ist aber ein staatlicher Eingriff untersagt, folglich auch eine bestandsschützende Maßnahme zugunsten eines ‚Anbieters’ auf diesem Markt.“
In diesem Sinne möchte man den Verlegern und Verbandssprechern zum Tag der Pressefreiheit zurufen: „Macht euch endlich ehrlich! Und versteckt wirtschaftliche Interessen nicht länger hinter dem Grundrecht auf Pressefreiheit.“
Literatur:
Brinkmann, Janis (2018): Verlagspolitik in der Zeitungskrise. Theorien – Strukturen – Strategien. Baden-Baden [Nomos] (im Erscheinen).
Brüggemann, Michael/Esser, Frank/Humprecht, Edda (2012): The Strategic Repertoire of Publishers in the Media Crisis. In: Journalism Studies, Jg. 13, Nr. 5–6, S. 742–752.
Buschow, Christopher (2012): Strategische Institutionalisierung durch Medienorganisationen. Der Fall des Leistungsschutzrechtes. Köln [Herbert von Halem].
Dybski, Wencke/Hanel, Katharina/Kringe Andree/Peun, Kristina/Weiß, Ralph (2010): Ideologie vor Eigennutz? Die Berichterstattung über den Konflikt um den Post-Mindestlohn durch beteiligte und unbeteiligte Zeitungen divergierender politischer Richtungen. In: Publizistik, Jg. 55, Nr. 2, S. 173–192.
Jarren, Otfried (2010): Die Presse in der Wohlfahrtsfalle. Zur institutionellen Krise der Tageszeitungsbranche. In: Bartelt-Kircher et al. (Hrsg.): Krise der Printmedien. Eine Krise des Journalismus? Berlin, New York [De Gruyter Saur], S. 13–31.
Kain, Florian (2003): Das Privatfernsehen, der Axel Springer Verlag und die deutsche Presse. Die medienpolitische Debatte in den sechziger Jahren. Münster [LIT].
Kemner, Beatrice/Scherer, Helmut/Weinacht, Stefan (2008): Unter der Tarnkappe. Der Einsatz „volantiler Themen“ und „opportuner Zeugen“ in der Berichterstattung zum Übernahmeversuch der ProSiebenSat.1 Media AG durch den Springer-Verlag. In: Publizistik, Jg. 53, Nr. 1, S. 65–84.
Löblich, Maria (2011): Frames in der medienpolitischen Öffentlichkeit. Die Presseberichterstattung über den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag. In: Publizistik, Jg. 56; Nr. 4, S. 423–439.
Maier, Daniel/Dogruel, Leyla (2016): Akteursbeziehungen in der Zeitungsberichterstattung über die Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In: Publizistik, Jg. 61, Nr. 2, S. 145–166.
Meuthen, Martin/Pawlitzki, Helene (2014): Elchtest: durchgefallen. Wenn Medien über Medien berichten, werden sie selbst zu interessengeleiteten Akteuren. In: message, Nr. 4, S. 86–91.
Müller, Diana/Donsbach, Wolfgang (2006): Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen als Qualitätsindikator im Journalismus. Wie Medien beteiligter und unbeteiligter Verlage über den Konflikt auf dem Berliner Zeitungsmarkt berichteten. In: Weischenberg, Siegfried/Loosen, Wiebke/Beuthner, Michael (Hrsg.): Medien-Qualitäten. Öffentliche Kommunikation zwischen ökonomischem Kalkül und Sozialverantwortung. Konstanz [UVK], S. 129–147.
Pointner, Nicola (2010): In den Fängen der Ökonomie? Ein kritischer Blick auf die Berichterstattung über Medienunternehmen in der deutschen Tagespresse. Wiesbaden [VS].
Richter, Rolf (1973): Kommunikationsfreiheit = Verlegerfreiheit? Zur Kommunikationspolitik der Zeitungsverleger in der BRD, 1945-1969. Pullach b. München [Verl. Dokumentation].
Schulze, Volker (1994): Im Interesse der Zeitung. Zur Kommunikationspolitik des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger vom Ausgang der sechziger bis zum Beginn der neunziger Jahre. Frankfurt am Main [Institut für Medienentwicklung und Kommunikation].
Vowe, Gerhard (2001): Medienpolitik. Regulierung der medialen öffentlichen Kommunikation. Diskussionsbeiträge aus dem Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft. Ilmenau.
Vowe, Gerhard (2007): Das Spannungsfeld von Verbänden und Medien: Mehr als öffentlicher Druck und politischer Einfluss. In: von Winter, Thomas/Willems, Ulrich (Hrsg.): Interessenverbände in Deutschland. Wiesbaden [VS], S. 465–488.
Weiß, Hans-Jürgen (1985): Die Tendenz der Berichterstattung und Kommentierung der Tagespresse zur Neuordnung des Rundfunkwesens in der Bundesrepublik Deutschland (Oktober 1984 bis Januar 1985). Ergebnisse einer quantitativen Inhaltsanalyse. In: Media Perspektiven, Nr. 12, S. 845–866.
Weiß, Hans-Jürgen (1986): Rundfunkinteressen und Pressejournalismus. Abschließende Analysen und Anmerkungen zu zwei inhaltsanalytischen Zeitungsstudien. In: Media Perspektiven, Nr. 2, S. 53–73.
Weiß, Hans-Jürgen (1988): Meinungsgestaltung im Interesse der Zeitung? Eine Analyse der Zeitungspublizistik zur Erhöhung der Rundfunkgebühr (Oktober 1987 bis Januar 1988). In: Media Perspektiven, Nr. 8, S. 469–489.
Weiß, Hans-Jürgen; Gramatins, Andrejs (1985): Die Berichterstattung und Kommentierung der Tagespresse zu Sat.1 (Oktober 1984 bis Januar 1985). In: Media Perspektiven, Nr. 8, S. 581–594.