Die Entscheidung fiel den 17 Studentinnen und Studenten leicht. Als ihr Professor ihnen zu Beginn des Sommersemesters vorstellte, welche Themen sie gemeinsam im Modul „News Journalism“ bearbeiten könnten, fiel die Wahl einstimmig aus: Die künftigen Medienmanager und Medienmanagerinnen nahmen sich vor, die Proteste in Chemnitz nach dem gewaltsamen Tod von Daniel Hillig im August 2018 journalistisch aufzuarbeiten.
Das Ergebnis seiner Arbeit hat das Team nun sechs Monate später veröffentlicht „Sturm über Chemnitz“ heißt das multimediale Stück, das mit Texten, Fotos, Audio- und Videomaterial minutiös erklärt, wie es zu dem unvorhergesehenen Massenprotest von rechter und später als Gegenreaktion auch von linker Seite kam, was wirklich passierte und welche Auswirkungen die Vorkommnisse hatten.
Mehr als Trockenübungen im Studium
„Wir wollen im Studium mehr als Trockenübungen machen“, erklärt' Janis Brinkmann, der als Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Fakultät Medien lehrt. „Die Studenten setzen die in den Vorlesungen vermittelte Theorie zum Nachrichtenjournalismus mit diesem Projekt in die Praxis um.“
Dafür bedurfte es neben dem übergeordneten Thema zunächst einmal einer passenden Organisation. 17 Redakteure, die gleichzeitig für eine Veröffentlichung recherchieren und das Material bearbeiten – es drohte Chaos. „Tatsächlich gab es einen Projektablaufplan, den wir gemeinsam aufgestellt hatten – Projektmanagement und eine gewisse zeitliche Orientierung mit Deadlines und Meilensteinen ist auf jeden Fall super wichtig“, sagt Annika Braun, eine am Projekt beteiligten Medienmanagement-Studentin. „Wir mussten von der Ursprungsform aber abweichen. Einfach, weil wir die Dimension und Arbeitsaufwand des Ganzen unterschätzt haben.“
Eigenständige Arbeit und Tipps vom Professor
Einmal pro Woche trafen sich die Teammitglieder mit ihrem Professor, der ihnen Tipps gab, wie sie die Recherche angehen, wo sie die wichtigen Originaldokumente finden und wie sie die Story mit Hypothesen und Leitfragen eingrenzen. Die eigentliche Arbeit machten sie aber selbstständig. Vier Studentinnen und Studenten übernahmen die Leitung und koordinierten die Arbeit ihrer Kommilitonen und Kommilitoninnen: Lisa Müller, Nicolai Hackbart, Alexander Grau und Annika Braun teilten sich die Aufgaben.
„Erst haben wir alle Leitmedien und regionale Medien durchforstet und anhand dessen versucht, eine Chronik zusammenzustellen. Dann haben wir uns überlegt, wer uns was dazu erzählen kann, wo wir Einordnungen und Experten brauchen“, erklärt Braun. „Wir haben Interviewanfragen rausgeschickt und uns wichtiges Backgroundwissen etwa durch Anfragen an die Polizei geholt. Und dann ging‘s an die Interviews: führen, drehen, transkribieren, massiv kürzen. Schlussendlich haben wir dann alle Informationen in einer Geschichte verpackt.“
Dabei arbeiteten die künftigen Medienmanager und Medienmanagerinnen in drei Einheiten. Das Team Recherche kümmerte sich um die Echtheit der Informationen, das Team Story überführte sie in Text, Video und Audio, das Team Webdesign kümmerte sich um die Gestaltung der Webseite und codierte die Entwürfe.
„Es gibt Phasen, da verrennt man sich“
Was sich zunächst anhört wie ein kurzer Sprint, war also harte Arbeit. Auch, weil immer wieder Hindernisse auftraten. Einige Anfragen bei Behörden blieben lange unbeantwortet oder es erfolgte gar keine Reaktion. „Dass wir gar keine Antwort bekommen haben, kam selten vor. Dass wir von Pressesprechern oder Mitarbeitern vertröstet wurden oder keine handfesten Informationen bekamen, war leider öfter der Fall. Es ist aber natürlich auch kein angenehmes Thema", sagt Braun. „So ein Projekt ist nicht immer supertoll. Es gibt Phasen, da verrennt man sich, hat Schreib-Blockaden oder die Kommunikation funktioniert nicht perfekt und es gibt Unstimmigkeiten – aber genau dafür studieren wir ja: um zu lernen, wie man damit umgeht und die Probleme löst.“
Viele Details trugen die Studentinnen und Studenten aus anderen Medien zusammen und achteten dabei darauf, immer mehrere, voneinander unabhängige Quellen für eine Information zu finden – das sogenannte Zwei-Quellen-Prinzip, das die Echtheit der Informationen sichert. Mit verschiedenen Interviewpartnern besprachen sie zudem die Ereignisse, die Ursachen und die Auswirkungen.
Gänsehautmomente während der Interviews
„Jeden Tag haben wir irgendwas Anderes herausgefunden und es war tatsächlich eher schwieriger zu sagen: ‚Halt, Stopp, das lassen wir raus, das wird zu viel‘“, so Braun. „Wenn dir ein Bundestagsabgeordneter, mit dem du eigentlich über die Folgen für Chemnitz reden wolltest, dann auf einmal ungefragt erzählt, wie er auf der Demonstration gejagt wurde, kriegst du Gänsehaut. Dass wir auch mit den beiden jungen Männern sprechen konnten, deren Video als ‚Hetzjagd‘-Clip viral ging, war auch einer der schönen Momente - so unschön der Grund des Gespräches natürlich ist.“
Am Ende blieben fast 100.000 Zeichen Text, fast 30 DIN A4-Seiten – ohne die Video- und Audioclips. „Viele haben bei dem Projekt unterschätzt, was am Ende draus wird – wenn wir ehrlich sind, konnten wir am Anfang die Größe auch noch nicht abschätzen“, sagt Braun. „Wir haben die Tage vor der Veröffentlichung im Endspurt teilweise nächtelang die Webseite und deren Inhalte finalisiert. Da sind wir echt an unsere Grenzen gekommen. Es war auf jeden Fall eine super wichtige Erfahrung fürs Berufsleben.“