Mega-Thema Künstliche Intelligenz: auch aus Mittweida
Mega-Thema Künstliche Intelligenz: auch aus Mittweida
Hochschule Mittweida als einzige Hochschule für Angewandte Wissenschaften auf erstem sächsischen KI-Kongress vertreten: Professor Thomas Villmann und Professor Alexander Knauer im Interview.
Am vergangenen Freitag (10. September) lud der Freistaat Sachsen nach Leipzig zu seinem ersten KI-Kongress ein und präsentierte die jüngst im Kabinett verabschiedete "KI-Strategie für den Freistaat Sachsen“. Der Kongress war prominent besetzt mit 200 Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, darunter als einzige Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) die Hochschule Mittweida – und diese gleich mit zwei Experten: den Professoren Thomas Villmann und Alexander Knauer von der Fakultät Angewandte Computer- und Biowissenschaften. Die beiden berichten, welche Bedeutung KI hat– an der Hochschule Mittweida und für die Zukunft Sachsens.
Herr Professor Villmann, „KI – Künstliche Intelligenz“ ist in aller Munde. Können Sie bitte kurz erklären, um was es dabei geht.
Thomas Villmann: Ja, gerne. Zunächst: KI begegnet uns im Alltag, wenn wir auf dem Smartphone Nachrichten schreiben und Wörter automatisch vervollständigt werden oder wenn uns im Online-Handel Vorschläge gemacht werden, was uns möglicherweise noch gefallen könnte. Dahinter stecken Algorithmen und Methoden zur Vorhersage, Bewertung und Steuerung, die aus Erfahrung lernen, gestellte Aufgaben immer besser zu lösen. Im Grunde funktioniert das wie beim Menschen, der aus Erfahrungen lernt. Erfahrungen in der KI liegen in Form von Daten vor, mit denen der Algorithmus „trainiert“. Und genau wie menschliche Intelligenz quasi fachübergreifend funktioniert, ist auch KI interdisziplinär. Sie umfasst Konzepte und Methoden aus der Mathematik, Informatik, Physik, Biologie, Psychologie, Kognitionswissenschaft.
Man unterscheidet dann noch starke und schwache KI. Unter „starker“ KI versteht man KI-Systeme, die die gleichen oder ähnlichen intellektuellen Fertigkeiten wie der Mensch haben oder ihn darin sogar übertreffen können. Mit „schwacher“ KI werden lösungsorientierte Methoden für konkrete Anwendungsprobleme bezeichnet, mit der Fähigkeit der Selbstoptimierung basierend auf Methoden aus der Mathematik und Informatik – wie die Wortvervollständigung oder die Spracherkennung beim Smartphone. Aber auch bei der Briefsortierung, der Steuerung von technischen Anlagen bis hin zur Qualitätskontrolle oder der Medikamentenforschung wird KI eingesetzt.
Sie wird in naher Zukunft alle digitalen Lebensbereiche erfassen und eine ähnliche Umwälzung der wirtschaftlichen Infrastruktur mit sich bringen wie die (erste) industrielle Revolution.
Alexander Knauer: Das sehe ich auch so – vor allem aus der der Perspektive der wirtschaftlichen Anwendung. Technologie ist ja, Sie verzeihen, Kollege Villmann, nur Mittel zum Zweck, Anwendungsfälle, d.h. konkrete Kundenprobleme, zu lösen. Die KI hat das Potenzial, im Zusammenspiel mit weiteren Technologien und Trends wie. Sensorik, Robotik, Robotic Process Automation, Cloud Computing, aber natürlich auch Blockchain, die gesamte unternehmerische Wertschöpfungskette zu verbessern. Innerhalb eines Unternehmens können mit Hilfe von KI oder Maschinellem Lernen Prozesse effizienter oder automatisiert abgebildet werden. So führt zum Beispiel die Predictive Maintance, d.h. die vorausschauende Maschinenwartung mittels KI, zu längeren Laufzeiten und damit zu mehr Nachhaltigkeit und deutlichen Kosteneinsparungen. Der Einsatz von KI im Unternehmen kann auch neue Geschäftsmodelle etablieren oder neue Kundengruppen erreichen. Aber auch andere Bereiche, die uns alle unmittelbar betreffen, wie Gesundheit, Mobilität, Sicherheit, Bildung und Medien, sind oder werden in Zukunft Einsatzfelder von KI.
Das passt ja prima zur Hochschule Mittweida … Aber bevor wir nach Mittweida schauen, wollen wir den Blick noch einmal weiten. Wo stehen wir denn in Sachsen und in Deutschland in Sachen KI?
Thomas Villmann: Wir brauchen uns nichts vorzumachen. Die führenden Länder bei der Entwicklung von KI sind China, USA, Israel, Indien, Indonesien – Deutschland nur bedingt. Das wurde auch beim Kongress in Leipzig offen angesprochen. Man sprach von einer „ersten verschlafenen Halbzeit“ – aber damit auch von einer Chance, in der zweiten Halbzeit aufzuholen. Es gibt jedenfalls aktuell nur wenige KI-Bereiche, in denen Spitzenentwicklungen in Deutschland generiert werden.
Aber Sachsen ist dabei! Hier wird an zwei Einrichtungen Grundlagenforschung betrieben: an der TU Chemnitz zu kognitiven Modellen und an der HSMW zu smarten und interpretierbaren KI-Modellen mit Funktionsgarantien sowie zu einem wichtigen Zukunftsthema: KI und Quantencomputing. KI-Anwendungsentwicklung geschieht an weiteren Standorten u.a. in Dresden, Zwickau, und Leipzig und Görlitz.
Alexander Knauer: Um im Bild zu bleiben: Deutschland spielt (noch) nicht in der Champions League. Aber mit dem Kongress hat Sachsen gezeigt, dass der Freistaat KI als Innovationsmotor sieht. Und das Strategiepapier formuliert konkrete Ziele – in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung – für die zweite Halbzeit sozusagen. Mit Unterstützung des Freistaats soll außerdem ab dem kommenden Jahr eines von fünf KI-Kompetenzzentren des Bundes in Sachsen etabliert werden, in dem ein Netzwerk an Forschungspartnern zusammengeführt werden soll. Das ist ein guter und wichtiger Schritt für den Forschungsstandort und in Folge auch den Wirtschaftsstandort Sachsen.
Weltweit China, USA, … In Sachsen Chemnitz und Mittweida. KI-Forschung vermutet man auf den ersten Blick an Universitäten und großen Forschungseinrichtungen. Wie spielt Mittweida hier mit?
Thomas Villmann: Zunächst muss man wissen, dass wir in Mittweida nicht erst gestern mit KI-Forschung begonnen haben. KI-Entwicklung wird hier seit 2009 betrieben, als ich an die HSMW berufen wurde. Mein inzwischen erfreulich gewachsenes Team konzentriert sie dabei auf kleine (smarte) KI-Modelle, wie sie in autonomen Systemen Verwendung finden oder auch in mittelständischen Unternehmen.
Gleichzeitig ist uns sehr wichtig, dass diese Systeme für die Nutzenden immer interpretierbar bleiben, also nicht als Black-Box agieren, und natürlich funktionssicher sind. Seit 2017 haben wir dazu ein fakultätsübergreifendes Institut an der HSMW – das Sächsische Institut für Computational Intelligence und Machine Learning (SICIM).
Grundlegende Zukunftsentwicklungen, an denen wir ebenfalls forschen, sind im Bereich der schon erwähnten, mit enormem Potenzial verbundenen, Kombination von KI und Quantencomputing sowie bei der KI-Vorhersagesicherheit zu sehen.
Anwendungsforschung geschieht an der HSMW unter anderem in der Bioinformatik, in der Medikamentenforschung, im Ingenieurwesen, in der Robotik, in den Medienwissenschaften, in der Forensik, für das autonome Fahren und in den Agrarwissenschaften.
Diese interdisziplinäre und auch die Anwendung im Blick habende Forschung an einer „kleinen“ Hochschule für Angewandte Wissenschaften macht das Besondere aus. Hier öffnen sich Möglichkeiten für Wissenschaftler:innen, die es an größeren Einrichtungen so nicht gibt. Deshalb sehe ich auch sehr gute Chancen für unsere gemeinsame Arbeit, KI für die vergleichsweise neuen Einsatzgebiete wie die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu erforschen.
Alexander Knauer: Richtig! Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind vielfältig. Anwendungen lassen sich vom kleinen Handwerksunternehmen bis zum großen Konzern finden, über alle Branchen hinweg und in allen Regionen. Hierfür verfügen wir nicht nur über eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Hochschule, sondern auch über ein belastbares und vertrauensvolles Netzwerk mit Praxis- und Wirtschaftspartnern außerhalb der Hochschule.
Wir haben Augen und Ohren sehr nah an den Herausforderungen der Unternehmen und der Gesellschaft. Daher ist es nur konsequent, dass die HSMW sich intensiv mit der KI -Forschung beschäftigt. Als HAW können wir KI-Technologie nicht nur konzeptionell erforschen, sondern auch in die direkte praktische Anwendung bringen und begleiten. Ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz von neuen Technologien.
Das erwartet man mit Recht von uns – und das können wir auch.
Stichwort „Akzeptanz neuer Technologien“ und damit zum Schluss die Frage: KI ist nur so intelligent, wie die Menschen, die sie bzw. die Algorithmen dahinter programmiert haben. Was macht gute KI aus?
Thomas Villmann: KI basiert auf Erfahrungen, das heißt auf Daten. Die Verantwortung für KI liegt daher zunächst bei den KI-Entwicklern und bei denjenigen, die die Daten sammeln und bereitstellen. Die Frage nach einer guten KI ist in der Tat eine der spannenden Fragen. Hierfür werden oft Kriterien wie Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit, Transparenz, Verantwortlichkeit oder Diskriminierungsfreiheit genannt. Genauso sollten Aspekte wie der Nutzen für die Gesellschaft, hohe wissenschaftliche Standards und eine sorgfältige Einsatzabwägung beachtet werden. Entsprechend hat zum Beispiel die Europäische Union bereits in 2018 Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI entwickelt, mit Hilfe derer der Europäische Wettbewerbsstandort gestärkt werden soll. Mit dem Fokus auf einer wirklich „guten“ KI kann sich auch Deutschland und Sachsen einen Platz an der Spitze sichern.
Für die HSMW wird derzeit eine eigene KI-Strategie entwickelt, die Stärken fördern und Defizite beheben soll. Darin soll unter anderem verankert werden, dass alle Studierenden und Lehrenden KI-Kompetenz erwerben können und sollten. Dazu wollen wir die Angebote erweitern.
Alexander Knauer: Forschen und Wissen Vermitteln über neue Technologien muss an einer Hochschule begleitet werden von der Diskussion über gesellschaftliche Implikationen. Das geschieht an der HSMW nicht abstrakt theoretisch, sondern zum einem mit Expert:innen aus der Praxis, wie zuletzt Andrea Martin, Leiterin des IBM Watson IoT Center in München und Mitglied der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Deutschen Bundestages, die in Mittweida zu Gast war.
Zum anderen geschieht es vielfach auch vor dem Hintergrund ganz konkreter Überlegungen unserer Studierenden, sich mit eigenen Geschäftsideen im Bereich innovativer Technologien selbständig zu machen. Die Sensibilisierung im Hinblick auf die Frage, ob das technologisch Mögliche auch das gesellschaftlich oder moralisch Erstrebenswerte ist, diskutiere ich zum Beispiel mit meinen Studierenden im Rahmen der Module „E-Entrepreneurship & Digital Innovationmanagement“ oder „Werte & Ethik Digitaler Innovationen“. Hier sprechen wir auch intensiv zu den Chancen und Herausforderungen einer vertrauenswürdigen KI.
Die Veranstaltung vom 10. September 2021 in Leipzig lässt sich hier nachschauen.
Weitere Informationen zu KI in Sachsen.