Praxis im Studium: Bessere Akustik für besseres Theater
Praxis im Studium: Bessere Akustik für besseres Theater
Angehende Akustik-Profis vermessen und optimieren Spielstätten des Mittelsächsischen Theaters. Bewerbungen für neues Audio- und Akustik-Studium an der Hochschule Mittweida sind ab April möglich.
Junge maskierte Leute bewegen sich über Bühne, Orchestergraben und Zuschauerraum des Stadttheaters Freiberg, hantieren mit allerlei Apparaten. Analytisches Drama oder Experimentelles Stück?
Was bei oberflächlichem Hinsehen so wirkt, ist keines von beiden. Die jungen Leute sind Studierende der Studienrichtung Acoustics der Hochschule Mittweida, und die Apparate sind ein Dodekaeder-Lautsprecher, ein das menschliche Hören nachbildender Kunstkopf, Messmikrofone und Computer. Der Theaterbesuch dient der raumakustischen Vermessung des ältesten Stadttheaters der Welt. Ziel ist, den Theaterleuten ein Werkzeug an die Hand zu geben, die Akustik ihrer Spielstätte gezielt zu beeinflussen.
Gut anhören muss es sich zuerst für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Aber die Musikerinnen und Musiker müssen sich auch untereinander hören, und im Musiktheater muss der Klang aus dem Orchestergraben für die Akteurinnen und Akteure auf der Bühne hörbar sein.
Oper oder Musical, Konzert oder Sprechtheater stellen zudem ganz unterschiedliche akustische Anforderungen. Allen aber soll das verhältnismäßig kleine Haus mit etwa einhundert Quadratmetern Bühnenfläche, dem kleinen Orchestergraben und den 315 Plätzen im Parkett und auf den zwei Rängen des als recht trocken empfundenen Zuschauerraums gerecht werden.
Das tut es seit mehr als 230 Jahren, ohne dass dafür große Eingriffe in die Architektur möglich gewesen sind – und zukünftig sein werden. Die aber für die gestiegenen Ansprüche und die Weiterentwicklung der künstlerischen Möglichkeiten notwendige Optimierung der Akustik hat sich das gemeinsame Praxisprojekt von Hochschule und Theater zur Aufgabe gemacht.
Vom echten Theater in die computerbasierte Simulation – und wieder zurück
Am Anfang steht die raumakustische Simulation, das heißt ein virtuelles, computerbasiertes Raummodell aufbauend auf der Berechnung aller wichtigen raumakustischen Größen und dem Abgleich mit den vielen Messungen vor Ort, einschließlich der Messungen bei einer Orchesterprobe. Am Ende steht die Möglichkeit, über die Bühnenbilder selbst und andere „nicht-invasive“ Maßnahmen gezielt die akustischen Bedingungen für Mitwirkende und Zuschauende zu beeinflussen.
Damit befassen sich seit Oktober in vier Arbeitsgruppen die 20 Studierenden der Studienrichtung Acoustics im 3. und 5. Semester des Studiengangs Media and Acoustical Engineering. Ihr Professor Jörn Hübelt hat das Praxisprojekt zusammen mit Sergio Raonic Lukovic, dem designierten Intendanten des Mittelsächsischen Theaters, ins Leben gerufen. Von der Zusammenarbeit am echten „Gegenstand“ und mit Partnern aus der Praxis profitieren beide, die Studierenden und das Theater. Noch einen ganz anderen Vorteil sieht der Professor: „Man merkt, dass sich die Studierenden gemeinsam ins Zeug legen. Es macht richtig Spaß zuzuschauen, wie die Teams zusammenarbeiten und das semesterübergreifend“, freut sich Hübelt. Studierende zweier Jahrgänge in die Praxisprojekte einzubinden, ist Teil des Konzepts: „So lernen die Studierenden voneinander und Projekte können über einen längeren Zeitraum weiterentwickelt werden.“
Die Zusammenarbeit mit dem Theater gestaltet sich dabei sehr intensiv. Sergio Raonic Lukovic: „Ich freue mich über die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kultur in Mittelsachsen, die zudem langfristig angelegt ist. Wir können damit gleichzeitig unsere künstlerische Qualität verbessern und unsere Verankerung in der Region weiter stärken.“
Folge-Projekte sind auch schon geplant. Das Mittelsächsische Theater hat weitere Spielstätten: direkt gegenüber vom Freiberger Stadttheater die Nikolaikirche, wo vor allem Konzerte mit dem Philharmonischen Orchester, zum Teil unter Beteiligung von Chören und Gesangssolisten, stattfinden. In den nächsten Semestern sollen dort die ersten Messungen stattfinden. Auch hierfür versprechen sich die Theaterleute von den Experten der Hochschule Vorschläge für eine Optimierung der Akustik bei den Aufführungen. Das Theater Döbeln ist eine weitere Spielstätte und Gegenstand eines studienbegleitenden Praxisprojekts im Jahr 2022/23. Die Aufführungen auf der Seebühne Kriebstein als vierter Spielstätte haben Mittweidaer Studierende bereits im vergangenen Jahr begleitet.
Der Ton macht die Musik: Audio- und Akustik-Studium in Mittweida
Zahlreiche Absolventinnen und Absolventen des Bachelorstudiengangs Media and Acoustical Engineering der Hochschule Mittweida sorgen dafür, dass Konzerte, Events und Fernsehshows ihr Publikum begeistern – sei es bei der Planung und Umsetzung von Livebeschallungen und Studioproduktionen oder bei der akustischen Optimierung von allem, was gut klingen soll, sei es ein Theater oder die satt ins Schloss fallende Tür eines Autos.
Das anwendungsorientierte Studium mit vielen Praxisprojekten in Industrie und Kultur sorgt für einen Vorsprung an Wissen und Erfahrung beim Einstieg in die berufliche Karriere. Der Studiengang wird derzeit gemeinsam von Lehrenden und Studierenden weiterentwickelt und ab Wintersemester mit der Bezeichnung Applied Audio and Acoustical Engineering angeboten.
Mit dem Masterstudiengang Ingenieurakustik bietet die Hochschule Mittweida in Kooperation mit der Hochschule München die Möglichkeit, sich im Anschluss an den Bachelor weiter im Bereich Akustik zu spezialisieren. Die Masterstudierenden treffen in den Lehrveranstaltungen auf hochkarätige Fachleute aus Wissenschaft und Industrie, wie der Hochschule Luzern und der Mercedes-Benz AG.