Fachtag „Demenz bewegt“
Fachtag „Demenz bewegt“
Hochschule Mittweida bringt Fachleute und betroffene Angehörige zusammen
Demenz bewegt. Demenz bewegt deutschlandweit mehr als 1,8 Millionen Menschen, die mit der Erkrankung leben. Sie bewegt damit auch deren Angehörige, deren soziales Umfeld, viele haupt- und ehrenamtlich Begleitende, Versorgende und Pflegende. Sie bewegt Politik, Wissenschaft und Forschung – und die Gesellschaft. Dennoch müssen noch viele Schritte auf dem Weg zu einer demenzsensiblen Gesellschaft gegangen werden.
Einen dieser Schritte ging die Hochschule Mittweida am 3. Mai 2023 mit der Veranstaltung „Kompetenz Demenz“. Die Fakultät Soziale Arbeit und ihre Kooperationspartner Landesinitiative Demenz Sachsen e.V. Alzheimer Gesellschaft sowie PflegeNetz Mittelsachsen hatten eingeladen, um zu sensibilisieren, zu informieren, zu vernetzen und zu stärken. Rund 150 Teilnehmende und Ausstellende kamen zu dieser nach 2021 zweiten Veranstaltung mit dem Schwerpunkt Demenz für eine breite Zielgruppe.
Professorin Barbara Wedler und ihre Mitarbeiterin Bianka Hammer haben den Fachtag organisiert: Wedler: „Weil ein erheblicher Teil der Pflege demenziell erkrankter Menschen von Angehörigen geleistet wird, hat unsere Fachtagung nicht nur Fachleute aus Medizin und Pflege sowie Studierende im Blick, sondern gerade auch pflegende Angehörige und ehrenamtlich Tätige. Für sie alle bietet der Tag ein breites Spektrum an Vorträgen und Workshops.“
Vorbild Bayern: landesspezifische Demenzstrategie
Zum Impulsvortrag war der Bayerische Staatsminister für Gesundheit, Klaus Holetschek, zugeschaltet. Der Freistaat Bayern ist derzeit eines von erst vier Bundesländern mit einer landespezifischen Demenzstrategie. Die ist aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen (Bevölkerungsdichte und Altersdurchschnitt, Infrastruktur und Versorgungssituation) innerhalb Deutschlands wichtig. Unter der Überschrift „Gesellschaftliche Herausforderung Demenz – quo vadis?“ stellte der Minister die zehn Handlungsfelder der bayerischen Strategie vor, darunter zwei, die für die Teilnehmenden der Mittweidaer Fachtagung besonders wichtig waren: Leben in ambulant betreuten Wohngemeinschaften und Pflegeeinrichtungen sowie Häusliche Unterstützung und Entlastung pflegender Angehöriger.
Pflege: Jeder Mensch mit Demenz ist anders
Damit traf der Minister auch das Herzensanliegen des zweiten Referenten am Vormittag: Klaus Wudmaska, Gründer und Leiter der Alzheimer-Angehörigengruppe Plauen-Vogtland. Der 82-jährige Wudmaska gab seine langjährigen Erfahrungen in der Betreuung Demenzkranker weiter, zunächst im Beruf, dann in der Familie und als Ehrenamtler: Sein Vortrag „Deine Demenz – mein Leben. Angehörige zwischen Fürsorge und Überlastung“ war gespickt mit Anekdoten aus dem Alltag, teils heiter, teils berührend, mutmachend und ehrlich.
Auch medizinisch: Demenz ist nicht gleich Demenz
Die Psychologin Dr. Sarah Straub war ebenfalls zu ihrem Herzensanliegen – und Forschungsschwerpunkt an der Universität Ulm – nach Mittweida eingeladen: eine unter vielen Formen der Demenz und die zweithäufigste Form, an der Menschen vor dem 65. Lebensjahr erkranken: die Frontotemporale Demenz (FTD). Sie ist wie die Alzheimer-Demenz eine fortschreitende Form. Der US-amerikanische Schauspieler Bruce Willis ist ein prominenter Betroffener.
Patient:innen haben Persönlichkeitsveränderungen, entwickeln Sprachstörungen und verlieren ihr Gespür für das Sozialverhalten, für richtig oder falsch – und haben damit ultra-unspezifische Symptome, die schwer der Erkrankung zuzuordnen sind. Die Auswirkungen auf das Berufs- und Privatleben sind groß, zumal zum Krankheitsbild gehört, dass den Patient:innen das Bewusstsein für die Veränderungen fehlt.
Musik: Geschmäcker bleiben verschieden
Der Vormittag endete musikalisch. Doreen Rother von der Friedrich-Schiller-Universität Jena berichtete in ihrem Vortrag „Individualisiertes Musikhören – Lieblingsmusik für Menschen mit Demenz“ was das Hören individueller Playlists bei demenziell erkrankten Menschen auslöst. Sie und ihre Jenaer Kolleg:innen untersuchen das in einer Studie. Lieblingsmusikstücke sind wichtiger Bestandteil der Biografie und des Lebens vor der Demenzerkrankung.
Mit dieser Musik werden positive Erfahrungen und Gefühle verbunden. Die Reaktionen während des Musikhörens auf die individualisierte Musik seien sehr vielfältig und individuell. Manche Menschen begannen zu singen, andere sich rhythmisch zu bewegen, oder hörten entspannt zu. Vorteile dieser Methode: Sie ist kostengünstig, nicht-pharmakologisch, sprachungebunden und lässt sich gut sowohl in die stationäre als auch die häusliche Betreuung integrieren.
Nachmittag der Praxis
Doreen Rother (Individualisierte Musik) gab ihre Erfahrungen ebenso wie Sarah Straub (Ernährung und Demenz) am Nachmittag des Fachtags auch in einem der acht Workshops weiter. „Demenz Partner- Kurs“, „Wertschätzende Haltung im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen“, „Biografisches Arbeiten im Pflegeprozess“, „Sterbebegleitung bei Demenz“, „Kraft-Copilot – Die Plattform zur Selbstfürsorge für junge pflegende Angehörige“ waren weitere Workshops.
Hilfen für Helfende
Begleitet wurde das Vortrags- und Workshop-Programm von einem Markt der Möglichkeiten im Zentrum für Medien und Soziale Arbeit der Hochschule Mittweida: 21 Akteur:innen zeigten ein breites Spektrum der Versorgungsmöglichkeiten von Menschen mit Demenz. Die Besucher:innen hatten unter anderem die Möglichkeit, mit Hilfe eines Alterssimulationsanzugs Einschränkungen im Alter nachzuempfinden, während der von Studierenden begleitete Demenzparcours die demenziellen Veränderungen simulierte.
Blühendes Nachspiel
Die 90 Tagungs-Petunien, die die Räume des Fachtags schmückten, haben die Organistor:innen einige Tage später gemeinsam mit der Gartengruppe der sozialtherapeutischen Seifersbacher Wohnstätte des Vereins für Betreutes Wohnen Mittweida in ein Beet gepflanzt. Den bunten Sommervorboten folgt im September eine Schulung zum Thema „Demenz und Behinderung“ für Pflegekräfte.