Die Frage nach dem "richtigen" Interpretieren einer Gesetzesformulierung trifft den juristischen Laien ebenso wie den Profi. Gesetzeswerken ist keine Auslegungsregel beigegeben, kein Rezept, wie zu begreifen ist, was da eigentlich steht.
Der juristische Profi bedient sich der Methode der Hermeneutik, um Texte zu interpretieren, zu verstehen - und er tut es da den Philologen, Philosophen und Theologen gleich.
Die gelb eingebundene Textsammlung "Gesetze für die Soziale Arbeit" heißt dann auch nicht von ungefähr die "Gelbe Bibel" und enthält das Material, mit dem der umzugehen hat, der sich mit "Recht in der Sozialen Arbeit" beschäftigt. So lautet das Berufungsgebiet des neuen Professors in Mittweida. Seit dem Sommersemester lehrt der in Bochum geborene Czerner an der Hochschule Mittweida. Nach dem Einfinden in das neue wissenschaftliche Umfeld und dem Umzug ins neue Gebäude hielt er hier am vergangenen Mittwoch im großen Hörsaal seine Antrittsvorlesung: "Das ist eine schöne Tadition", begrüßte Dekanin Christina Niedermeier die Antrittsvorlesung-Besucher - Kollegen, auch aus anderen Fakultäten, Studierende, Mitarbeiter und alte und neue Weggefährten.
Gesetze sind nicht im interpretatorischen Nirwana
Unter der Überschrift "Der juristische Auslegungskanon als ein hermeneutischer Schlüssel zur Sozialen Arbeit" entfaltete Czerner ein Thema an der Schnittstelle zwischen juristischer Methodik und der Praxis Sozialer Arbeit. Für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wie für Juristen gleichermaßen ist die Frage bedeutsam und alltäglich relevant: Wie und auf welche Weise sind Gesetzestexte zu interpretieren, das heißt auszulegen?
Der juristische Auslegungskanon umfasst die wörtliche Auslegung, die systematische Auslegung, dann die teleologsiche Auslegung und schließlich die historische Auslegung als Zugänge zum "Verstehen, was da steht".
Illustriert mit Beispielen aus der Praxis unter anderem des Familienrechts oder des Opferentschädigungsgesetzes zeigte Professor Czerner die zentrale Bedeutung der Orientierung am Wortlaut des Gesetzes als Ausgangspunkt für die Interpretation. "Jegliche juristische Interpretation hat am Wortlaut einer Norm anzusetzen und dann bei Bedarf die weiteren Auslegungsformen mit einzubeziehen."
Die Norm steht nicht im luftleeren Raum, sondern im Kontext anderer Gesetze
So blickt die systematische Auslegung auf den Kontext, auf andere Normen zum gleichen Zusammenhang und auf Parallelstellen in anderen Zusammenhängen.
Ist das Recht die Herrschaft der Toten über der Lebenden?
Die teleologische Auslegung fragt danach, was die Gesetzesregelung heute aussagt und welchen Sinn und Zweck sie gegenwärtig verfolgt.
Und die historische Auslegung schließlich fragt nach den Motiven und Zielen, mit denen der Gesetzgeber das Gesetz ursprünglich formulierte.
Hermeneutischer Schlüssel zum Recht in der Sozialen Arbeit
Ein Verstehen der Texte ist aber letztlich mehr als ein rein additives beziehungsweise serielles "Abarbeiten" dieses Auslegungskanons. Czerner: "Das Ganze ist mehr als nur die Summe der Einzelkomponenten. Erst in einer umfassenden und gewichtenden Zusammenschau einzelner Auslegungsergebnisse vermag sich so etwas wie ein 'hermeneutischer Schlüssel' zur Sozialen Arbeit heraus zu kristallisieren."
Dr. jur. Frank Czerner studierte nach dem Abitur 1987 in Bochum Rechtswissenschaften in Bochum und Tübingen. Er promovierte mit dem Thema "Untersuchungshaft und ihre Alternativen bei Jugendlichen als Antagonisten einer repressiv-präventiven Allianz - Eine systematisch-dogmatische Analyse verfahrenssichernder Minimalinterventionen". Er ist Mitglied in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM, Göttingen) und im Herausgeberbeirat der Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ).
Seinen Mittweidaer Studierenden möchte Czerner zu einem verstehenden und kritisch-distanzierten Umgang mit dem Gesetz verhelfen, das die Soziale Arbeit formt und prägt. Ein blinder Buchstabengehorsam dagegen nehme nur die Norm in den Blick, nicht aber den Menschen.
Zum ausführlichen Bericht auf der Seite der Fakultät Soziale Arbeit hier.