„Mein Strom kommt aus der Steckdose.“ – Die Wirklichkeit hinter diesem Satz von der als selbstverständlich empfundenen ständigen Verfügbarkeit von Strom ist eine Herausforderung für die Stromerzeuger und Betreiber von Stromnetzen. Die schwankende Verfügbarkeit regenerativer Energien wie Windkraft auf der Erzeugerseite und neue Anforderungen zum Beispiel durch zunehmende Elektromobilität auf der Verbraucherseite „stressen“ die Stromnetze zusätzlich.
Um Verfügbarkeit und Verbrauch besser zu vernetzen, will die Bundesregierung ab 2017 neue intelligente Messsysteme für Strom einführen. Damit die Umrüstung reibungslos funktioniert, kommen solche Systeme an der Hochschule Mittweida vorab auf den Prüfstand.
Dazu wurde gestern Nachmittag im Rahmen eines „Energietechnischen Kolloquiums“ am Institut für Energiemanagement an der Hochschule Mittweida (ifem) eine Zähler-Prüfstrecke offiziell in Betrieb genommen. Die Prüfstrecke in der zweiten Etage des Sigmund-Schuckert-Baus ermöglicht es, das Betriebsverhalten intelligenter Messsysteme unter den in der Praxis herrschenden Netzbedingungen zu untersuchen.
Zum Einsatz kommen „intelligente Zähler“ für Haushalte unter einem Jahres-Stromverbrauch von 6000 kWh. Verbraucher erhalten mit ihnen am heimischen Computer, auf dem Tablet oder Smartphone einen genauen Überblick über ihren Stromverbrauch, den durch den Stromverbrauch erzeugten Kohlendioxid-Ausstoß und ihre Stromkosten. So sollen sie angeregt werden, Energie effizienter zu nutzen.
Bei Haushalten mit einem höheren Strombedarf werden „intelligente Messsysteme" eingesetzt, die zusätzlich eine Kommunikationseinheit (Gateway) haben. Wesentlicher Unterschied zur herkömmlichen Zähltechnik ist diese Kommunikationseinheit. Sie ermöglicht es, wichtige Netzdaten wie den Stromverbrauch und die verwendete Leistung in Echtzeit zu erfassen. Das eröffnet unter anderem den Zugang zu unterschiedlichen Tarifangeboten oder intelligenter Haussteuerung, stellt aber gleichzeitig höchste Anforderungen an die Datensicherheit.
Herausforderung: Systemwechsel ohne Pannen
„Während die alten sogenannten Ferraris-Zähler relativ einfache elektromechanische Geräte sind, haben wir es bei den neuen Geräten mit einem elektronischen System mit Hard-, Firm- und Software zu tun“, erläuterte Bert Schusser vom ifem. Tobias Sauer, Abteilungsleiter Zählerwesen bei MITNETZ STROM, verdeutlicht die Herausforderung aus der Sicht des Netzbetreibers: Im Laufe der nächsten Jahre werden wir unseren kompletten Zählerpark austauschen. Bei MITNETZ STROM sprechen wir von 1,3 Millionen intelligenten Zahlern und ca. 250.000 intelligenten Messsystemen mit Gateway.“ Dafür räumt der Gesetzgeber zwar Zeit bis zum Jahr 2033 ein, aber das System muss von Anfang an zuverlässig funktionieren und alle Komponenten müssen zusammenspielen.
Die neue Prüfstrecke an der Hochschule Mittweida ist ein wichtiger Teil eines umfassenden Qualitätsmanagement-Systems für intelligente Messsysteme, das das ifem zusammen mit dem enviaM-Netzbetreiber MITNETZ STROM entwickelt. Das System umfasst alle wesentlichen Bestandteile für die vorgesehene Umstellung. Der Bogen spannt sich vom Betriebsverhalten über das Prozessmanagement bis hin zum Vertragsmanagement. Ziel ist es, den Netzbetreibern eine reibungslose Einführung intelligenter Messsysteme zu ermöglichen.
„Das Qualitätsmanagement-System ist eine nützliche Planungshilfe bei der Einführung intelligenter Messsysteme. Es soll nicht nur uns, sondern auch anderen Netzbetreibern helfen, sich bestmöglich auf das neue Zähler-Zeitalter vorzubereiten“, verdeutlichte der enviaM-Vorstandsvorsitzende Tim Hartmann. Schwachstellen müssten bei einer so umfassenden Umstellung vorher entdeckt werden.
Prof. Dr.-Ing. Ralf Hartig, Leiter des ifem, bestätigte: „Unser Qualitätsmanagement-System umfasst alle theoretischen und praktischen Aspekte, die bei der Inbetriebnahme intelligenter Messsysteme zu beachten sind. Es bietet Netzbetreibern eine sehr gute Grundlage, um die Umstellung im Sinne ihrer Kunden professionell umzusetzen.“
Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft
Alle Dienstleistungen, die MITNETZ STROM und die Hochschule Mittweida Netzbetreibern im Rahmen der Forschung anbieten, sind übersichtlich in einem Prüfkatalog zusammengefasst. Er kann von interessierten Netzbetreibern ab Mitte April beim Institut für Energiemanagement abgerufen werden.
Das ifem befasst sich seit dem Jahr 2008 mit energiewirtschaftlichen und -technischen Fragen und bietet hierzu Dienst-, Entwicklungs- und Forschungsleistungen an. Mit der enviaM-Gruppe arbeitet die Hochschule Mittweida seit 2001 in Forschung und Lehre zusammen. Wissenschaftler und Studierende der Hochschule haben so bessere Möglichkeiten, anwendungsnah zu forschen und zu studieren. Die Partner in der Wirtschaft profitieren unmittelbar von den Forschungsergebnissen und lernen ihren Fachkräftenachwuchs früh kennen.
ifem-Leiter Professor Ralf Hartig gab während des Energietechnischen Kolloquiums einen Rückblick auf die vergangenen 15 Jahre der Zusammenarbeit zwischen Hochschule Mittweida und enviaM-Gruppe. Professor Gerhard Thiem, Prorektor für Forschung und Entwicklung, und der enviaM-Vorstandsvorsitzender Tim Hartmann würdigten übereistimmend die gemeinsame Arbeit. Die Entwicklung und Erprobung intelligenter Messsysteme ist einer der aktuellen Schwerpunkte der Forschungsaktivitäten.