Die Anforderungen an die Hochschullehre steigen: Internationalisierung, Digitalisierung und die zunehmende Heterogenität der Studierenden sind Trends, die „Lehre“ zum Thema machen. Das gilt für die Hochschulpolitik und natürlich für die Orte, an denen Hochschullehre täglich geschieht. So stand der zweite „Tag der Lehre“ gestern an der Hochschule Mittweida unter dem Motto „Kompetent, kooperativ, kreativ: Lehrende im Fokus“. Die Beiträge befassten sich mit den Auswirkungen der Studienreformen auf den Hochschulalltag – Stichwort „Bologna“ – und neuen didaktischen Formaten.
Vorbereitet hatte diesen zweiten Tag der Lehre das Team von "SEM". Die Abkürzung steht für "Realisierung neuer Lehr- und Lernformen durch Stärkung und Erweiterung des akademischen Mittelbaus", ein vom BMBF gefördertes Projekt an der Hochschule Mittweida.
„Kommt das in der Prüfung dran?“
Die Frage nach den Auswirkungen von „Bologna“ nahm PD Dr. Gunter Süß vom BMBF-Projekt Qualitätspakt Lehre SEM an der Hochschule Mittweida in seinem Vortrag auf. Unter der Überschrift: „Zwischen den Zeiten und Welten: Lehre und Schlüsselkompetenzvermittlung im Spannungsfeld von Humboldt und Bologna“ umriss er die fundamental veränderten Rahmenbedingungen für Lehre und Lernen an Hochschulen: Neben einer bewussten Verknappung des Faktors Zeit stehe vor allem die Frage, welche die Rolle der Hochschule sein soll. Unterschiedliche Akteure wie Lehrende, Studierende, Administratoren sowie die Gesellschaft vertreten hier oft unterschiedliche Ideale und Interessen.
Diese Gemengelage führe in der Praxis oftmals zu Zielkonflikten. Am einfachen und jedem Lehrenden vertrauten Beispiel verdeutlichte er einen Zielkonflikt: Lehrende klagen oft über die studentische Frage „Kommt das zur Prüfung dran“. Hinter diesem Lamento scheine das Ziel der Lehrenden einer „umfassenden Bildung“ Humboldt’scher Prägung auf.
Allerdings lasse sich diese studentische Frage auch aus einer anderen Perspektive beleuchten, so Süß: Studierende haben in dieser zweiten Lesart die Prüfungs- und Credit-Fixiertheit des Modulsystems erkannt. Sie haben somit eine wichtige Schlüsselkompetenz erworben: Sie haben durchschaut, was im Bologna-System als Maßstab für Studienerfolg gilt.
Gleichwohl gebe es für diesen und andere Zielkonflikte zumindest punktuell auch Lösungsmöglichkeiten: „Wir können dafür streiten, dass die Lehre aufgewertet wird, zum Beispiel durch die Möglichkeit, über kumulative Lehr-Lern-Projekte sich akademisch weiter zu qualifizieren.
Professor Christoph Meyer, Historiker an der Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule Mittweida, regte in seiner Response auf Süß an, die Ausgangsfrage umzukehren, also nicht nur zu fragen, wie die Hochschulstruktur sich auf den Alltag auswirkt, sondern: Welche Bedeutung hat der Lebensalltag der Studierenden für die Strukturen?
Zunächst zitierte Meyer den Schriftsteller Stefan Zweig aus dessen berühmten Buch „Die Welt von Gestern“. Zweig hatte vor über 100 Jahren in Wien und Berlin Philosophie studiert, aber mit dem Besuch von Vorlesungen hatte er sich nicht besonders belastet. Das einige, was er von der Universität wollte, war, so Zweig: „ein paar Jahre voller Freiheit für mein Leben und für die Bemühung in der Kunst: universitas vitae“.
Davon sind die meisten heutigen Studierenden weit entfernt: Das Studium sei, so Meyer, für sie immer weniger eine eigenständige Lebensphase. Viele studieren berufsbegleitend, viele haben ihren Lebensmittelpunkt nicht am Hochschulort. Es komme so zu einer Entgrenzung von Familienleben, Studium und Beruf. Damit seien die in den Modulhandbüchern und Studienordnungen genannten Stundenzahlen für „Workloads“ zwar interessante Hinweise, aber letztlich doch eine Illusion.
International, flexibel, fair - Workshops für Lehrende
Drei parallele Workshops im Anschluss an das Plenum gaben konkreten praktischen Input.
„Erfolgreich in der interkulturellen Kommunikation. Sicherer Umgang mit gemischt kulturellen Lern- und Arbeitsgruppen“ war der erste Workshop überschrieben:
Auch an der Hochschule Mittweida steigt die Anzahl internationaler Studierender. Der Umgang mit Lernenden aus anderen Kulturen stellt Lehrende vor besondere Probleme: Häufig besitzen internationale Gesprächspartner sehr unterschiedliche fachliche, sprachliche und kulturelle Voraussetzungen, die zu Beginn nicht bekannt sind.
Der Erfolg des eigenen interkulturellen Handels ist wesentlich abhängig von der Fähigkeit, individuelle und soziale kulturelle Verschiedenheiten zu erkennen, zu verstehen und wertschätzend mit diesen umzugehen. Sabine Vana-Ströhla stellte in ihrem Workshop praktikable Lösungsansätze und Strategien vor, um mit Personen aus anderen Kulturen erfolgreich zu arbeiten und zu leben.
Im zweiten Workshop ging es um „Bewerten im Labor: transparent, fair und souverän“:
Die Bewertung von Studierendenleistungen in Laborpraktika gestaltet sich oftmals schwierig: Zum einen werden mündliche Eingangstests durchgeführt, wobei das Zustandekommen des Bewertungsergebnisses für den Lernenden meist nicht nachvollziehbar ist. Zum anderen werden Versuchsprotokolle bewertet, was - anders als bei Klausuren - aufgrund fehlender Bewertungsschemata ebenfalls zu nicht nachvollziehbaren Benotungen führen kann. Außerdem treten für den Versuchsbetreuer die Bewertungssituationen innerhalb eines Semesters vergleichsweise häufig auf, mitunter mehrmals pro Woche.
Um angesichts der Häufigkeit der Bewertungen nicht den Überblick zu verlieren und Willkür beim Bewerten von vornherein zu vermeiden, ist der Einsatz von Bewertungsschemata unabdingbar. Sind diese didaktisch gut erstellt, gewährleisten sie mit hoher Wahrscheinlichkeit transparente und faire - aus Sicht der Studierenden - und souveräne - aus Sicht des Versuchsbetreuers - Bewertungen. Dr. Markus Bufe stellte im Workshop dazu konkrete Umsetzungsvorschläge und Handlungsanleitungen für Lehrende vor.
„Blended Learning-Konzepte in Aus- und Weiterbildung“ waren Thema im dritten Workshop:
Berufsbegleitende akademische Aus- und Weiterbildung stellen bei Studierenden höhere Anforderungen an die zeitliche und örtliche Flexibilität der Lehr-Lern-Szenarien. Blended Learning-Konzepte sichern hier die Förderung von Lehr-Kompetenzen, um Lernprozesse motivierender und ansprechender zu gestalten, die Selbstorganisation der Lernprozesse sowie die Entwicklung des Lernfortschritts bei den Studierenden zu unterstützen und gerade in der Weiterbildung in beruflichen Arbeitszusammenhängen verantwortlich zu handeln.
Am Beispiel des postgradualen Mittweidaer Studiengangs "Nachhaltigkeit in gesamtwirtschaftlichen Kreisläufen" stellte Dr. Dagmar Israel die erfolgreiche Einbindung kombinierter mediengestützter Lehr- und Lernformen in einem modularen E-Learning-unterstützten Bildungsangebot vor.
Zum Abschluss hatten alle Teilnehmer der Workshops die Gelegenheit, die Ergebnisse der jeweils andern Workshops kennenzulernen.
Ein guter Tag für die Lehre
SEM-Projektleiterin und Prorektorin für Studium und Qualitätssicherung Prof. Dr. Monika Häußler-Sczepan zeigte sich sehr zufrieden: „Beim ersten Tag der Lehre im vergangenen Jahr hatten wir die Qualität der Lehre in den Mittelpunkt gestellt und das intensiv mit Lehrenden und Studierenden diskutiert. Heute standen die Lehrenden im Fokus und deren 'gute Lehre' unter veränderten strukturellen Bedingungen und dem - für Lehrende und Lernende gleichermaßen - sich wandelnden Alltag im Zeitalter der Digitalisierung.“