Der Tag der Lehre an der Hochschule Mittweida am 6. November steht unter der Überschrift „Lernen im Wandel - Lehren aus der Wende". Mauerfall und politische Wende vor 30 Jahren haben auch den Wissenschaftsbetrieb verändert. Prof. Dr.-Ing. habil. Gerhard Thiem, Direktor des Instituts für Wissenstransfer und Digitale Transformation (IWD) und ehemaliger Prorektor Forschung der Hochschule Mittweida sagt, was sich gewandelt hat – und was gültig bleibt.
Herr Professor Thiem, welcher bedeutsame Wendepunkt ist Ihnen als Wissenschaftler in Erinnerung?
Vor 30 Jahren stand ich vor der Entscheidung, wie es bei mir beruflich und fachlich weitergehen sollte. Der Umbruch im Hochschulwesen nach 1989 begann eher langsam, und die neuen bundesweiten Strukturen waren erst ab 1991 in Ansätzen erkennbar. Ich habe diese Übergangszeit genutzt als Gastwissenschaftler bei Siemens in München, um mich mit dem neuen gesamtdeutschen Wissenschaftssystem vertraut zu machen.
Die berufliche Entscheidung, die ich für mich persönlich traf, war, dauerhaft als Hochschuldozent arbeiten zu wollen. Sie führte mich an die Hochschule Mittweida – ein Schritt, den ich nie bereut habe.
Dann blicken Sie auf einen entscheidenden Zeitabschnitt an unserer Hochschule zurück. Wie hat sich die Lehrkultur in Mittweida gewandelt?
Früher gab es in den Ingenieurwissenschaften eine sehr traditionelle Präsensausbildung mit Vorlesung, Seminar und Praktikum. In meinem Fach Elektrotechnik hatten wir im Vergleich zu heute zweieinhalb Mal so viele Stunden zur Verfügung für die Vermittlung des Stoffes von den Basiskompetenzen bis hin zum Kompetenzniveau „Beherrschen und Anwenden“. Dem korrespondierte ein strenges Regime zur Studienerfolgskontrolle mit einer semesterweise personenkonkreten Auswertung.
Die dagegen heute selbstverständliche „Freiheit des Studierens" hat ebenfalls ihre korrespondierende Komponente: größere Verantwortung. Die dazu befähigten selbstbewussten Studierenden sind ein gewollter Erfolg dieser gewachsenen Freiheit.
Die heutige Lehr- und Lernkultur hat vieles an Breite und Flexibilität hinzugewonnen. Das liegt nicht nur an den modernen Formen der Wissensvermittlung. Die persönlichkeitsbildenden und kommunikativen Schlüsselqualifikationen bekamen in den vergangenen Jahren eine größere Rolle und traten neben die fachlichen Kenntnisse.
Was geben Sie jungen Kolleginnen und Kollegen für die nächsten 30 Jahre mit auf den Weg?“
30 Jahre? Ich bin sicher, dass sich in den nächsten fünf bis 10 Jahren mehr ändern wird, als sich in den vergangenen 30 Jahren geändert hat. Mir sind in meiner Tätigkeit als Hochschullehrer und Prorektor einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften aber drei Dinge besonders wichtig geworden, die Potenzial und Gültigkeit für die Zukunft haben:
Erstens: Fachwissen und Kommunikation sind nur gemeinsam erfolgreich. Das gilt auch für die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Lehr-/Lernszenarien, die Lehrende mitbringen müssen.
Zweitens: Wir müssen die Studierenden dort abholen, wo sie durch ihre Vorbildungsstufen tatsächlich angekommen sind, und in ihrer Heterogenität begleiten. Investitionen in den Studieneinstieg und die Studienbegleitung potenzieren sich als Beiträge zum Studienerfolg.
Und schließlich: Anwendungsnahes Forschen ist an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften die Voraussetzung für erfolgreiches Lehren und der Schlüssel für das eigene lebenslange Lernen der zukünftigen Generationen von Hochschullehrenden.
Wende und Wandel beim Tag der Lehre und beim Dialog Kontrovers Extra
Beim Tag der Lehre am 6. November tauschen sich die Lehrenden der Hochschule Mittweida dazu aus, wie sie ihre Lehre weiter verbessern können. Auch Studierende beteiligen sich, indem sie sich mit Future Skills beschäftigen oder sich über ihre Arbeit als Tutorinnen und Tutoren austauschen.
Am Abend lädt die Hochschule zudem die Öffentlichkeit ein: Der Dialog Kontrovers Extra im Studio B widmet sich dem Thema „30 Jahre gewendetes Deutschland – Quo Vadis?“.