Der „Dialog Kontrovers Extra“ am Mittwoch, dem 6. November, versammelte unter der Überschrift "30 Jahre gewendetes Deutschland - Quo Vadis?" vier Podiumsgäste und rund 80 Besucherinnen und Besucher im Studio B der Hochschule.
Die Runde mit Dr. Thomas Ahbe (Leipzig), Prof. Dr. phil. Beate Mitzscherlich (Zwickau), Pfarrer i.R. Dr. Christoph Körner (Mittweida/Erlau) und Pfarrer i.R. Christoph Wonneberger (Leipzig) wurde moderiert von Prof. Dr. Stefan Busse, Direktor des Instituts für Kompetenz, Kommunikation und Sprachen (IKKS) an der Hochschule Mittweida, das die Veranstaltungsreihe organsiert.
Eine Psychologin, ein Sozialwissenschaftler und zwei Theologen, allesamt Zeit- und Ortszeugen der „Wende“ auf dem Podium – und doch entspann sich eine streitbare und nachdenkliche Diskussion, deren Beiträge sich nicht auf die jeweilige „professionelle“ Perspektive reduzieren ließen. So wurde recht schnell der Begriff „Wende“ in Frage gestellt. Schon eher als „Revolution“ müsse das riskante Aufbegehren gegen eine Diktatur und das totale Umwerfen der Lebensverhältnisse für die Ostdeutschen charakterisiert werden. Dass sie friedlich geblieben ist, sei immer noch ein Wunder; strittig sei, wem welches Verdienst zukommt, wer welchen Teil der „Wende“ erbt und heute verteidigt bzw. verteidigen darf.
Professor Stefan Busse versuchte der Frage auf den Grund zu gehen, was die damalige Diktaturerfahrung für die Wachsamkeit und Couragiertheit in unserer heutigen (bedrohten) Demokratie bedeuten? Es ging auch um die eigenen Ängste und den Mut, wie es sich angefühlt hat, dieses durchaus „richtige Leben in einem falschen (Unrechts-)Staat“.
Auch kamen Fehlentwicklung nach der Wende zur Sprache, was auf der Strecke geblieben ist, und wie sich dabei Ost- und Westdeutsche möglicherweise eher auseinander als aufeinander zu entwickelt haben. Wie lässt sich verstehen, dass Ostdeutsche als einzelne ihr individuelles Glück als sehr hoch einschätzen aber kollektiv eher unzufrieden sind – mit der Demokratie, sich fremd im eigenen Land fühlen, was einen Teil von ihnen zur „rechten Rebellion“ treibt, was wiederum die hohe Zustimmung zur AfD im Osten verständlich macht
Unstrittig war jedoch, dass es sich nicht nur um ein ostdeutsches oder deutsch-deutsches Problem handelt, sondern hier auch übergreifende Ängste vor den Folgen der Globalisierung und Digitalisierung zu Buch schlagen. Dass die Wende im Sinne einer gesellschaftlichen Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit, eine Begrenzung der Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die kapitalistische Verwertungslogik und einer ökologischen Befriedung mit unserem Planeten die eigentlich drängenden Fragen sind, machte die anschließende Diskussion ebenfalls deutlich.
Schlussendlich hieß es, den Blick auf die Wende wieder ein wenig zu weiten, denn es gibt noch einiges „gemeinsam zu verdauen“, was auch an diesem Abend bei weitem nicht erschöpfend geschehen konnte.
Das Podium
Dr. Thomas Ahbe studierte von 1981 bis 1987 in Leipzig Philosophie, Ökonomie und Soziologie. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Diskurs- und Kulturgeschichte der deutschen Zweistaatlichkeit und der ostdeutschen Transformation.
Dr. Christoph Körner war von 1972-2001 war Pfarrer in der Evangelischen Kirchgemeinde Mittweida und aktiver Mitstreiter der christlichen Friedensbewegung in der DDR.
Prof. Dr. Beate Mitzscherlich studierte von 1982 bis 1987 Psychologie in Leipzig und Leningrad . Seit 1999 ist sie Professorin an der Westsächsischen Hochschule Zwickau und beschäftigt u.a. mit dem Thema (ostdeutscher) Identität.
Christoph Wonneberger ist lutherischer Pfarrer i. R. Er koordinierte von 1986 bis Ende Oktober 1989 die montäglichen „Friedensgebete“ in der Leipziger Nikolaikirche. Aus denen sich die Montagsdemonstrationen entwickelten.
Weitere Informationen über Frau Prof. Dr. Mitzscherlich und ihre Mitdiskutanten hier.
Wie weiter Sachsen: Nächster Dialog Kontrovers Extra im Januar
Am 22. Januar 2020 findet der nächste Dialog Kontrovers Extra statt – dann zum Thema: "Nach der Landtagswahl 2019 - Wie weiter Sachsen?".